Mitgehört: Musikalische Entdeckungen in Europa
In ihren Heimatländern sind sie Superstars, doch außerhalb, vor allem im deutschssprachigen Raum, meist nur einem Spezialpublikum der "Weltmusikszene" bekannt. Wir stellen in dieser Serie Künstler vor, die die traditionellen Musiken ihrer Länder nicht nur interpretieren, sondern ins Heute holen, sie auch für Außenstehende erhör- und erfühlbar machen. Das funktioniert auch, ohne sich dem Kommerz, dem Massengeschmack oder kurzlebigen Trends zu opfern.
Teil 3: Yasmin Levy - Ladino: die klingende Quintessenz von "Al Andaluz", ferne Klänge gehen nah
Yasmin Levy ist Jüdin, genauer Sephardin, ihre Kultur und Sprache ist Ladino, das im Deutschen holprig mit Juden-Spanisch übersetzt wird. Um eine lange, sehr komplizierte Geschichte kurz zu machen: die Sepharden sind die Nachfahren jener spanischen Juden, die nach der sogenannten Rückeroberung (Reconquista) des maurischen Spaniens durch die katholischen Könige verfolgt, massakriert und vertrieben wurden und sich u.a. nach Italien, Nordafrika, Griechenland, den Balkan bis in die heutige Türkei und Palästina verstreuten.
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Die Vertreibungen, eine der Segnungen christlicher Barmherzigkeit für verirrte Seelen, ist manifestiert im Alhambra-Edikt von 1492, so als wollte man, bevor man neue Welten erobert, noch einmal die alte richtig "aufräumen". Und der Terror gegen die Bürger dieses Landstrichs ereilte auch die teilweise seit dem 8. Jahrhundert hier verwurzelten Mauren, die aus Nordafrika stammenden Berberesken und sogar die konvertierten Mauren, die sog. Morisken, aber auch die Zigeuner, also Christen, so sie sich nicht zur Sesshaftigkeit "überreden" ließen.
Das "rechtgläubige" Ausrufezeichen der katholischen Heilsbringer beendete eine Epoche religiöser Toleranz unter strenger Hand. Ein absolutistisches, brutales Herrschaftssystem teils heftigst zerstrittener Herrscherfamilien mit viel Sinn für Pragmatik und den Nutzen von Vielfalt. Es folgte ihnen nur noch katholische Brutalität, denn als im 15. Jahrhundert anderswo mit der Reanissance auch eine Epoche der Aufklärung, des Wissens und der Erkenntnis zumindest einmal begann, endete es in Spanien zur selben Zeit und begann dort das Mittelalter, das anderswo gerade endigte. Es ist kein Zufall, dass die Inquisition in Spanien besonders gründlich und lange wütete, sie hatte ja einige Jahrhunderte aufzuholen.
Die Quintessenz von "Al Andaluz" musste vernichtet werden, was fast gelungen ist, auch wenn einige Paläste und Burgen erhalten wurden und heute der Stolz des Landes sind. Die Bibliotheken gibt es nicht mehr, denn über Jahrhunderte galt nur noch ein Buch. Einiges, so sagt man, hat in den Genen und Gebräuchen der Andalusier überdauert. Die Haut der Andalusierin ist bronzener, die Beine sind länger, die Hüften schmaler, die Augen blitzender als jene ihrer normannisch-keltisch-iberischen Vorfahren. Das behaupten ebenso die andalusischen Männer wie schon deutsche Reisende des 19. Jahrhunderts. Auch das ruhigere, sonnigere Gemüt der Südspanier, die auf reichem kulturellem Erbe ruhende Gelassenheit, soll aus den alten Schwingungen kommen. Man weiß es nicht. Es kann auch einfach Sonne, Meer und Wein sein.
Wenn Yasmin Levy heute "Ladino-Musik" spielt und singt, ist der größte Teil davon eine Mutmaßung, das Ergebnis einer Schmelze aus arabisch-berberischen Musiktraditionen, die sich mit Zigeuner- und Volksweisen zu einer kruden Mischung vereinten und dann aber durch Migrationsländer der flüchtenden Völker nochmals durchgeschüttelt, befruchtet wurde. Heute hören wir in dem, was uns einschlägige Bands als Ladino-Musik vorstellen eine Art Halbmond-Klezmer-Flamenco, womit der jeder Musik innewohnende Aspekt der Verständigung und Toleranz nur noch deutlicher hörbar wird, weil die Fusion spielend funktioniert. In der Musik.
Die 1975 in Jerusalem geborene Yasmin Levy, ist eine der modernen Vertreterinnen, die sich auf diese musikalische Europa- und Weltreise einlässt. Sie singt auf Spanisch, auf Hebräisch, auf Ladino, sie tanzt, spielt und singt dabei unbekümmert zwischen traditionalistisch-kolkloristisch, balladesk bis poppig. Ihr Vater, der aus dem türkischen Izmir stammte, war Kantor und Herausgeber einer ladinischsprachigen Zeitung, er forschte über die Kultur und die Musik der Sepharden, worauf die Tochter aufbauen konnte. Sie singt quasi Papas Erbe, macht die Geschichte ihrer Familie hörbar.
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Dabei hilft ihr eine eingängige, schöne Stimme, die mit arabesken Modulationen ebenso umgehen kann wie mit jazzigen Tiraden oder einfach gestrickten, schönen Liebesliedern. Ihre Platten spiegeln, jede in sich, das breite Spektrum, die vielen Quellen aus denen Levy schöpfen kann, sie sind auch stilistisch sehr durchmischt. R´n´B-Jazz-Songs im Gänsehautmodus, die kaum etwas mit Ladino dafür umso mehr mit der Lust an einfach guter Musik zu tun haben, wechseln mit manchmal etwas flachem Pop, gefolgt von sehr tratditionell anmutenden Klängen mit sehr asketischer Begleitung, - bis wieder ein Lied erklingt, in dem sich die ganzen Schönheiten des alten Spaniens, die maurischen, jüdischen, afrikanischen und zigeunerischen zu wunderbarer Musik vereinen. Klänge, die so fern erscheinen, uns aber so nahe gehen und daher nicht grundlos Fans auf der ganzen Welt finden.
Wie empfehlen in erster Linie die Alben "Mano Suave" (2007) und Sentir (2009) Tourdaten und weiter Infos auf der offizillen Webseite (engl.) http://www.yasminlevy.net/ Noch Aktueller auf ihrer Facebook-Seite https://www.facebook.com/Yasminlevyofficial
m.s., 2014
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