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Weg & Ziel
Reisen und Kultur in Europa

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Russland

 

Mitgehört: Musikalische Entdeckungen in Europa

In ihren Heimatländern sind sie Superstars, doch außerhalb, vor allem im deutschssprachigen Raum, meist nur einem Spezialpublikum der "Weltmusikszene" bekannt. Wir stellen in dieser Serie Künstler vor, die die traditionellen Musiken ihrer Länder nicht nur interpretieren, sondern ins Heute holen, sie auch für Außenstehende erhör- und erfühlbar machen. Das funktioniert auch, ohne sich dem Kommerz, dem Massengeschmack oder kurzlebigen Trends zu opfern.

Teil 1: Elena Vaenga - Temperamentvolle Chansonette im postsowjetischen Kulturbetrieb

Elena Vaenga ist ein echtes Multitalent, ein Temperamentsbündel, das auf dem Grat zwischen echtem Genie und gespieltem Wahnsinn kokettierend wandelt. Man könnte sie als Chansonette bezeichnen, doch wird man damit den Fähigkeiten dieser Sängerin, Schauspielerin, Texterin, Komponistin, Charakterdarstellerin und großartigen Entertainerin kaum gerecht. Im postsowjetischen Kulturbetrieb stellt sie eine künstlerische und emanzipatorische Ausnahmeerscheinung dar.

Qualität und Vielseitigkeit sind nicht gerade die aktuellste Mode im popularisierten Teil des staatlichen russischen Musikzirkus`. Vaenga aber verbindet in ihrer Liedern und Balladen das russische Chanson nicht nur mit Folkloristischem, mit Rock, klassischen Elementen und Ethnoklängen, sondern auch mit dem sich hartnäckig haltenden Phänomen der sowjetischen Estrade, diesem dauerpräsenten Kessel Buntes von Herzschmerz, musikalischer Infantilität und aufgesetztem Patriotismus, der zentraler Teil der russischen Medienmaschine ist und das so lange und konsequent, dass das Volk es längst selbstverständlich als Teil seiner Kultur versteht. Als "Estradensängerin" wird sie denn in Russland auch definiert. Der Unterschied: sie gibt der Szene Qualität und ist zur Zeit wohl das Beste, was Russland im populären Bereich zu bieten hat.

Elena Vaenga, 1977 als Elena Vladimirovna Krüljowa in einer Stadt namens "Nordmeer" (Severomorsk) geboren, entlehnte ihren Künstlernamen Vaenga einem Fluss, nachdem auch ihre Heimatstadt in der Region Murmansk früher benannt war. Die Verwurzelung in der Heimat, deren Größe, die nach Wärme lechzenden Bewohner der kalten Nordmeerregion, prägte sie, auch als sie in St. Petersburg eine Schauspiel- und Gesangslaufbahn begann, zunächst klassisch, dann immer individueller ihrem durch alle Poren drängenden Bedürfnis nach Expression folgend. Ihr Temperament will so gar nicht zum eiskalten Norden passen, eher schon in den mediterranen Raum.

 

Ihr musikalisches Spektrum reicht von leise wehklagenden, herzzerreißenden Balladen, die geradezu homöopathisch instrumentiert sind, über rockig-freche Songs über Selbstbehauptung und Sinnfindung bis hin zu gefälligen Wohlfühlstücken über die Heimat, die Liebe und deren Verlust, das Elend mit den Männern und mit sich selbst. Oft gewürzt mit Selbstironie, manchmal hart an der Grenze autobiographischer Indiskretionen, die den Zuhörer fordert, seine Gefühle lockt.

Dabei liefert sie bei ihren Konzerten gern auch die ganz große Show, - sie ist die Show. Einmal krümmt sie sich winselnd vor innerem Schmerz auf der Bühne, laufen Tränen über ihre Wangen, ob echte oder forcierte, wozu soll man das untersuchen? Im nächsten Song schon stampft sie wirbelnd und jubilierend wie eine Zigeunerin. Ihre sympathische Marotte: ausführliche Mimik und vor allem Gestik, die ihre gesungenen Worte begleitet wie eine Flamenco- manchmal wie eine Tempeltänzerin. Dann wieder: nur sie und das Piano.

Doch das Wesentliche, Vaenga posiert nicht einfach, wie die meisten ihrer Kollegen in abgedroschenen Bewegungen. Sie ist immer künstlerisch, immer intensiv: mit einer sehr vielseitigen, klassisch anmutenden und wunderbar reich einsetzbaren Stimme führt sie ihre Zuhörer in ihre Welten von Trauer, Sehnsucht, Liebe, Leid, Triumph und Lebensfreude. Ihr Piano ist so rührend, wie ihr Forte herausfordernd prägnant. Binnen weniger Jahre konnte man ihre geradezu explosionsartige Entwicklung vom noch suchenden Folk-Pop-Häschen in eigenartiger Aufmachung zur selbstbewußten und sebstbestimmten Künstlerin beobachten, zu einer Diva ohne Allüren.

Es ist kein Wunder, dass es einiger Zeit bedurfte, bis sich die Vaenga im staatlich dominierten Fernsehbetrieb durchsetzte, dessen musikalische Unterhaltungsabteilung bis heute von einer Sowjetheldin wie von einer eifersüchtigen Henne bebrütet wird. Doch der Auftritt im landesweiten TV ist für die Karriere im Riesenreich unabdingbar. Nichts aber geht in Estradenrussland ohne Alla Pugatschowa, die in ihren besten Jahren, den 70er und 80ern, eine wirklich große Chansonette - übrigens über die Sowjetgrenzen hinaus - war, heute ihren Ruhm von den nationalen Kulturstrategen verwalten lässt. Sie ist die Säulenheilige des russischen TV-Entertainments.

Pugatschowas Tochter, Ex-Männer, Liebhaber, Schwiegerkinder sind alle im "Betrieb" untergebracht, ob als Talkmaster oder Dauerbespieler der Massen, zusammen mit zwei Dutzend immer gleichen Gesichtern, die seit 40 Jahren, gefühlt seit der Oktoberrevolution das gleiche Programm abspulen, nur in Nuancen angepasst an selbst in Russland nicht mehr zu leugnende Zeitenläufte, sonst aber fest im Duktus unverbrüchlicher Vaterlandsliebe, einer Mischung aus Sowjetnostalgie, auf die Größe Russlands getrimmten Gehirnwäsche und einem nie endenden hyperbunt bebilderten Einerlei der Volkseinlullung. Wer hier Dschungelcamp und Musikantenstadl verteidigend als deutsche Pendands anführen mag, bitte sehr. Jedes Land blamiert sich so gut es kann. Doch die vollständige Zweckgebundenheit, die alternativlose Flachheit der gesamten Fernsehmaschinerie macht den Russen selbst das deutsche Unterhaltungselend so schnell nicht nach.

 

Ob Vaengas TV-Auftritte mit einem Soldatenchor und Liedern aus dem Großen Vaterländischen Krieg wirklich einem inneren Bedürfnis entstammten oder eher als Eintrittskarte ins Unterhaltungszentrum des großen Bruders zu verstehen waren, bleibt ihr Geheimnis. Sie lebt in dieser Welt, sie liebt ihr Land, ist aber weltfraulich und modern genug, es nicht über andere zu stellen und im Klischée zu verharren, sonst könnte sie solche Kunst nicht machen. Ihre Qualität mussten viele Platzhirsche der Banalität als Bedrohung ansehen. Doch sie setzte sich durch, mit Stimme, Charme und Intelligenz, einer selten anzutreffenden Kombination, nicht nur im Kulturbetrieb und nicht nur in Russland.

Elena Vaenga ist ab und an auch auf Tourneen auch in Deutschland unterwegs, die zahlreiche russische Community dort sorgt auch in großen Häusern für volle Ränge.

Wir haben versucht, die hier eingebundenen drei Videoausschnitte aus You Tube möglichst repräsentativ für das Spektrum dieser entdeckungswürdigen Künstlerin zu wählen, die man auch verstehen kann, wenn man die Worte nicht versteht, so wie es jeder großen Musik, jeder echten Kunst innewohnt.

Offizielle Webseite (russ.) http://www.vaenga.ru/

Elena Vaenga auf Twitter: https://twitter.com/Vaengaofficial

Eine Auswahl von Texten u.a. in englischer Übersetzung http://lyricstranslate.com/en/elena-vaenga-lyrics.html

m.s., 2014

 

 

 


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