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Weg & Ziel
Reisen und Kultur in Europa

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Russland

 

Mitgehört: Musikalische Entdeckungen in Europa

In ihren Heimatländern sind sie Superstars, doch außerhalb, vor allem im deutschssprachigen Raum, meist nur einem Spezialpublikum der "Weltmusikszene" bekannt. Wir stellen in dieser Serie Künstler vor, die die traditionellen Musiken ihrer Länder nicht nur interpretieren, sondern ins Heute holen, sie auch für Außenstehende erhör- und erfühlbar machen. Das funktioniert auch, ohne sich dem Kommerz, dem Massengeschmack oder kurzlebigen Trends zu opfern.

Teil 2: Ana Moura - Fado für Außerportugiesische: das Lebenslied eines Landes, sanft runderneuert

Der

Fado, Portugals Lebenslied, ist und wird den meisten Nichtportugiesen für immer eine unbegreifliche Erscheinung bleiben. Zwar werden Fado-Programme den Touristen angeboten, schwärmen Reisende von der Melancholie, dem intensiven Ausdruck von Liebes- und Lebensschmerz. Doch viele mittel- und nordeuropäische Ohren nervt das gesungene, gezogene Leiden nach ein paar Minuten, noch dazu begleitet von recht penetrant klirrenden portugiesischen Gitarren. Viel mehr als ein exotisches Erlebnis wird der Portugal-Reisende damit letzlich kaum verbinden. Als Lebensgefühl jedenfalls, gar als Philosophie und als innere Stimme eines Landes gehört er originär den Menschen und der Landschaft zwischen Porto und Algarve.

Die Fadosängerinnen sind in Portugal, das übrigens weit weniger machistisch ist, als es die mitteleuropäische Besserwisserei von den "Südländern" wissen will, die Fadosängerinnen sind fast eine eigene Klasse und vor allem die jungen, ambitionierten müssen sich vom so fachkundigen wie meist musikalisch schwer konservativen Publikum dem Vergleich mit den großen historischen und überhöhten Heldinnen des Genres messen lassen, stimmlich und stilistisch. Das ist nicht leicht und barg schon immer die Gefahr des Verstaubens. Doch einige Stimmen, jene, die in Persönlichkeiten wohnen, fanden und finden einen Weg, die Erwartungen des Publikums zu erfüllen und es trotzdem zu überraschen. Der Sache zu dienen und sie selbst zu sein.

Die Kunst des Fados zu erweitern, ins Heute zu tragen, ohne Tradition und Substanz zu brechen oder zu leugnen, das ist die Kunst der Ana Moura. Die Entwicklung ist ja die einzige Überlebenschance jeder Kunst, sogar ihr ureigenstes Streben, will sie nicht museal sein, zur Ikone erstarren. Ana Moura ist längst nicht die einzige, es gibt eine ganze Reihe moderner Frauen und selbstbewußter Künstlerinnen, doch Moura stehe hier als Exempel, als Prima primissima inter paris.

 

Zugegeben, ein Album mit dem Titel "Desfado" herauszugeben, ist für die Puristen des Fado schon ein harter Brocken gewesen, sozusagen die offene Ankündigung der Dekonstruktion einer heiligen Messe, fast schon Blasphemie. Folgte die 1979 im mittelportugiesischen Santarém geborene Moura mit ihren ersten Aufnahmen von 2003 bis 2009 noch vorweigend der Tradition, legte sozusagen vor dem Publikum ihre Reifeprüfung ab, höchstens paraphrasiert durch ein paar freche Ausflüge, rhythmische Varianten und melodische Vorwitzigkeiten. Ihr vorletztes Album "Leva-me aos Fados" war das Gesellenstück, doch  gelang ihr 2012 mit "Desfado" ein echtes Ausrufezeichen, eine musikalische Unabhängigkeitserklärung. Fado stammt vom lateinischen Fatum, dem Schicksal. Diesem kann man sich beugen oder es annehmen. Moura entschied sich für den zweiten Weg und machte etwas Daraus.

Dabei verbarg sie ihre Wurzeln nicht und reist auf dem Album durch einen Kosmos von wunderschönen Balladen, traditionalistischen Tanzliedern, auch in englisch (!) gesungenem Premium-Chill- und Barsound doch wieder zurück zu ihren Wurzeln. Liebesleid in verschiedenen Verkleidungen, die schon emblematische "Saudade", dieses Gefühl zwischen Fern- und Heimweh auch zu sich selbst, diese Melancholie und Sehnsucht als Selbst- und Lebenszweck in Lieder, traurige, fröhliche gegossen und heraugeschält durch die portugiesische Sprache, welche die schönsten Vokale der Welt und penetrantesten Konsonanten verbinden kann. Moura verkörpert diese unbestimmbare Saudade, nicht weil sie es einfach behauptet, sondern teilnimmt, den Fado ent-schicksalt. Auf ihrem wegweisenden Album kehrt Moura mit einer heimlichen Hymne für Portugal und den Fadeo am Ende zur alten Schule zurück, lässt ihr Werk mit einem traditionellen Stück ausklingen, so versöhnt sie auch ihre älteren Hörer.

Das Grund-Instrumentarium ihrer Band, der Grundsound bleibt dabei weitgehend traditionell, nur hier und da durch etwas elektronische Flächen geerdet, das eine oder andere Jazzelement ergänzt, die harte, mandolinenhafte portugiesisiche Gitarre würzt die Songs mehr als das sie dominiert und bringt als Pizzicato continuo, die Herkunft der Musik immer wieder ins Spiel zurück. Im Zentrum aber steht Mouras Stimme, umrahmt von dezenter Eleganz einer schönen Frau. Diese Stimme: Nicht dass man sie als augenfällig groß bezeichnen könnte oder sie besonders virtuos daher kommt. Ihre Qualität liegt eher in Details, einer sehr angenehmen Tiefe, einer weise gezügelten Kraftm hohen Modulationsfähgikeit und leichten Rauchigkeit in den Spitzen. Wenn Moura singt, befliegt den Hörer sofort Sympathie, der Stimme hört man gern zu, sie bleibt bei aller Expression doch immer wohltemperiert. Die Stimme fesselt, man weiß nur nicht immer genau wodurch.

 

Mouras Konzerte sind Fado nuovo in seiner besten, weil in einer lebendigen Form. Der Albumtitel Desfado könnte dabei auch als Genrebezeichnung dienen. Die spielerische und gekonnte Art des Umgangs mit der Musikform erweitert diese in einer Weise, die aus deren inneren Anlage schöpft. Auch Fado ist schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern ein Erdling, von Menschen gemacht, die gerade in Portugal immer Kontakt mit aller Welt pflegten, auch wenn wir sie am Rande Europas verorten. Ana Moura ist eine Botschafterin des modernen Portugals, das es nur mit seinen Traditionen gibt, eine Fadista, die Portugals innere Stimme für uns Außenstehnde, Außerportugiesische hör- und fühlbar macht.

www.anamoura.com.pt

m.s., 2014

 

 

 


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