Von echten und Möchtegern-Sultanen Osmanische Pilgerstätten in Ungarn
Die meisten baulichen Zeugnisse der osmanischen Zeit in Ungarn wurden getilgt oder - wie bei der Moschée in Pécs - christianisiert. In einigen Bädern in Budapest blieben Spuren erhalten, hier und da sieht man Reste einer Wehranlage, ein paar Minarette, oft verbaut, doch anders als in Spanien, speziell in Andalusien, macht man sich in Ungarn heute kaum noch ein Bild von dieser Kulturepoche, lange wurde sie nur als Fremdherrschaft verleugnet. Zwei bemerkenswerte Ausnahmen aber gibt es: der nördlichste Wallfahrtsort des Islam, die Türbe, also Grabstätte des Gül Baba in Budapest und die Wirkungs- und Todesstätte von Sultan Süleyman I., dem Prächtigen, im südungarischen Szigetvár.
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Ein Grabmal für den Rosenvater - die Türbe des Gül Baba in Budapest
Im zweiten Bezirk von Budapest, ein wenig abseits vom Moszkva tér, der heute Széll Kálmán Platz heißt, zwischen Gassen, Treppchen und Bäumen befindet sich ein versteckter Rosengarten. Als Monument gedenkt er dem Derwisch Gül Baba, der Ende des 15. Jahrhunderts als Missionar nach Ungarn kam und als Rosenvater bekannt wurde. Die Legende besagt, dass Gül Babas Grab nach seiner Beerdigung nach Rosen duftete, sie verlieh dem Stadtteil schon bald die Bezeichnung „Rosenhügel“. Viele Alleen und kleinere Wege eignen sich hier hervorragend zu Spaziergängen auch über Gül Babas Türbe hinaus, die in Budapest rare frische Luft ist ein zusätzlicher Anreiz.
Die Türbe (eine muslimische Grabstätte) des Rosenvaters ist achteckig, von außen eher unscheinbar, nur ein goldener Halbmond schimmert auf der hölzernen Kuppel des schlichten, weißen Bauwerkes. Um 1545 entstanden, beherbergt die Grabstätte des Rosenvaters den hölzernen Sarg mit dem unter der Erde vergrabenen Leichnam, einige Gebetsteppiche, Wandschmuck unter anderem in Form von bunten Kacheln mit Koranversen und einen Schrein und wird noch heute von der türkischen Regierung erhalten. Es ist die nördlichste Pilgerstätte des Islam.
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Auch der Garten um die Türbe herum lohnt einen genaueren Blick. Vor seinem Eingang thront eine Bronzeskulptur des Derwisches , im Garten hat man freie Sicht auf Margarethenbrücke und Parlament, ein mit Mosaikkacheln besetzter Brunnen zaubert orientalisches Flair und Rosenstöcke wurden zum Gedenken an “ihren“ Vater gepflanzt. Die ruhige Atmosphäre lädt zum Verweilen ein, ein Café nebenan zu Tee und türkischem Kaffee.
Nach Einfall und Eroberung des Budaer Gebietes durch die Habsburger, die so zu den nächsten - wenn auch christlichen - Besatzern wurden, unbeschädigt, verwandelten sie die Türbe in eine jesuitische Kapelle (die Osmanen ließen die meisten Kirchen Kirchen bleiben) und nannten sie „Sankt Josephs Kapelle“. Nach Auflösung des Jesuitenordens in der Stadt blieb das Grab ein Wallfahrtsort und aufgrund der vielen Pilger aus dem osmanischen Reich wurde später der Architekt Janós Wagner beauftragt, das Grab des Gül Baba zu erhalten. 1885 wurde die Türbe erstmalig restauriert und nach der Fertigstellung 1914 zum nationalen Denkmal erklärt. Damals umgaben noch Weingärten die Grabstätte. Erneute Renovierungsarbeiten erfolgten um 1960 und 1990. Heute ist das Mausoleum des Gül Baba Eigentum der Türkei.
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Ende des 15. Jahrhunderts geboren nahm der türkische Derwisch Caner bald auf Einladung des Sultans Süleyman an vielen Feldzügen teil, wurde zu einer Hauptfigur der osmanischen Armee im Westen, und bereiste auf diese Art 1531 zum ersten Mal Ungarn. In Buda gründete er einen Derwisch-Konvent, seine Aufgabe war es, Ungarn zu missionieren. Erzählungen zufolge soll er an seinem Turban stets eine Rose getragen haben, was ihm schon bald den Spitznamen Gül Baba (deutsch: Vater der Rosen) einbrachte. Darüber hinaus habe er die Rose in Ungarn erst eingeführt, doch dieser Teil der Sage ist umstritten, laut einigen Quellen existierte die Rose bereits in Ungarn und könnte in dem Zusammenhang metaphorisch für den Islam stehen, den er nach Ungarn gebracht hat.
Nicht nur von Sultan und sogar vom Volk geehrt, selbst der berühmte Märchenautor Hans Christian Andersen widmete ihm einige Zeilen in seinem Buch „A Poet's Bazaar“. Er betont die Hartnäckigkeit des Derwisches, zu Fuß über Berge und die kahle Wüste zu fremden Leuten, zu Christen gegangen zu sein. Obwohl seine Missionierung beendet sei, bestehe eine Erinnerung daran bis heute. Schon bald avancierte Gül Baba außerdem zum Poeten und unter dem Synonym „Misali“ schrieb er zahlreiche Gedichte die später den ungarischen Komponisten Jenö Húszka zu seiner Operette „Gül Baba“ inspirierten.
Sein Tod scheidet noch heute die Geister, einige behaupten er sei bei der Eroberung Budas gefallen, eine andere, viel wahrscheinlichere, Theorie besagt, er verstarb während des Siegesgebetes in der Matthiaskirche. Der Sultan machte Gül Baba zum Schutzheiligen der Stadt Buda. Er wohnte sogar seiner Beerdigung auf dem Rosenhügel bei und der Legende nach war der Sultan selbst einer der Sargträger.
Das Grab Süleymans des Prächtigen in Szigetvár und die Möchtegernsultane von Heute
Die geschlagenen Schlachten gegen die Osmanen, ob gewonnen oder - wie meist - verloren, gelten bis heute als Beleg für den aufopfernden Kampf der Ungarn für das gesamte europäische Christentum, das geradezu untergegangen wäre, hätten sich die tapferen Ungarn nicht in Mohács, Belgrad oder Szigetvár dem Türken entgegengeworfen und jahrhundertelang das Joch unter ihm erduldet. Nur wenig wollte man von befruchtenden orientalischen Einflüssen wissen, sei es im Handel und Handwerk, in der Architektur oder der Wissenschaft. Das ungarische Wort für Universität, egyetem, gleicht nicht von ungefähr dem türkischen Begriff für Bildung, egitim.
Der Szigetvárer Bürgermeister János Kolovics, Mitglied der mit Fidesz mitregierenden Christdemokraten, KDNP, lässt - finanziert durch das türkische Kulturministerium - fieberhaft nach der verschollenen Grabstätte des Sultans fahnden, die ungefähre Lage hat man identifiziert und erhofft dort Überreste des großen Eroberers zu finden, vor allem meint man, die inneren Organe des 10. Herrschers des Osmanenreiches lokalisiert zu haben. Süleyman I. (1496 bis 1566) schlug in Szigetvár 1566 eine wichtige Entscheidungsschlacht, die Ungarn konnten ihn nur kurz aufhalten, letztlich war die Belagerung der Burg für die Osmanen erfolgreich, aber: der Sultan starb. Neben den Überresten des Herrschers sollen in der Burg von Szigetvár die Überreste des osmanischen Forts bzw. einer Palastanlage weiter freigelegt und gründlich restauriert werden. Ein Denkmal für den Sultan an der vermuteten Grabstelle bzw. dem Fundament einer alten Moschee gibt es schon, auch das wurde von Ankara mitfinanziert und nennt sich "Park der ungarisch-türkischen Freundschaft". Alles zusammen soll dann eine Art Pilgerort für Türken ergeben, denn, so der Bürgermeister "der wirtschaftliche Boom in der Türkei bietet auch unserer Stadt ein großes Potential". Am liebsten
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Die alte Burganlage von Szigetvár. Hier und in der Umgebung graben ungarische Archäologen mit Unterstützung durch türkische Kollegen und Gelder nach den Überresten aus dem 16. Jahrhundert.
Warum gerade die so auf die "christlichen Werte" fokussierende rechtsnationale Orbán-Regierung Mittel und PR für islamische Denkmale in Gang setzt? Die Politik der "Ostöffnung" macht es möglich, jene nationalstrategische Offensive der Orbán-Regierung, die durch Annäherung, manche sagen, Anbiederung an "östliche Partner" von der Türkei über Saudi-Arabien, Kuwait, Aserbaidshan bis nach China, die von den Nationalkonservativen als erdrückend kommunizierte Abhängigkeit Ungarns von der EU verringern und neue Handelswege eröffnen soll. Den Ungarn wird diese manchmal nicht leicht nachvollziehbare Neuorientierung im alten Feindbild durch eine diffuse Legendenbildung schmackhaft gemacht: Rund um die Herkunft dieses "einzigartigen" Volkes begibt man sich auf die Suche nach den Links zu den Turkvölkern, den Steppensöhnen des Ural und den Berglöwen des Kaukasus.
Darstellung der Schlacht um Szigetvár von 1566
Dass bei dieser Neuausrichtung nicht wenig Übertreibung und billigste Propaganda im Spiel ist, wen wunderts. Pradoxerweise ist der Jahrestag der Schlacht von Nandórféhervár, vulgo Belgrad 1456 von der Regierung zum "nationalen Gedenktag" erhoben worden, taucht die Warnung vor dem Ende des "christlichen Europas" in fast jeder Rede des Premiers auf. Dennoch - oder gerade deshalb - weisen die Machtstile von Erdogan und Orbán, unseren neuzeitlichen Möchtegernsultanen, Parallelen auf: überschäumender Nationalismus, grenzdebile Frömmelei, Demokratieverachtung, kurz: Größenwahn und Kleingeistigkeit in vollendeter Vereinigung. Trauriger Höhepunkt war die unnötige Solidarisierung der ungarischen Regierung mit dem türkischen Knüppelregime des Taksim Platzes im Juni 2013.
Die Ungarn können von ihren neuen türkischen Freunden nur lernen, so sie denn nach Szigetvár bzw. Zigetvar Kusatmasi, wie der Ort auf türkisch genannt wird, strömen, um des großen Sultans Innereien zu bewundern und eine Geschichtslektion mitnehmen. Zum Beispiel können sie etwas vom Geschäftssinn des kleinen Mannes oder der Istanbuler Widerstandskultur übernehmen. Und wenn dann noch hängenbleibt, dass "Fremdes" nicht immer auch gleich "Schlechtes" ist, dann könnte Ungarn vielleicht tatsächlich von dieser Art der Ostöffnung profitieren.
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Neuzeitliche Barbarei in Erinnerung an eine große Kulturepoche. Der “Park der türkisch-ungarischen Freundschaft” in Szigetvár
Weitere Infos über Ungarn: www.pesterlloyd.net
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2013
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