___________________________________

Weg & Ziel
Reisen und Kultur in Europa

_____________________________________________

 

www.wegundziel.eu   Inhalt   Impressum     Werbung / Kooperationen

Tschechien

 

Über den Kamm geschaut -
Nejdek im Tal der Rolava

Langsam wird es wieder normal, sich über die Grenze des Erzgebirgskamms gegenseitig zu besuchen. Dennoch ist ist es eher eine Seltenheit, dass sich jemand in die kleineren Orte seitab des Weges Richtung Karlovy Vary verirrt. Die kleine böhmische Stadt Nejdek lässt die verschütteten Gemeinsamkeiten der Geschichte des sächsischen und des böhmischen Erzgebirges noch erahnen.

Es sind wie immer die Kulturinteressierten, die wie Pfadfinder alten Spuren der Geschichte, manchmal der Familie nachspüren. Erstere werden fündig, Letztere eher enttäuscht, denn von den Straßennamen, vielen Häusern, Geschäften oder Restaurants aus der Vorkriegszeit ist hier am westlichen Rande Tschechiens nicht viel übrig. Aber es entsteht Neues, würdig Altes wird bewahrt und museal liebevoll aufbereitet. Die Wintersportler finden hier wenig überlaufene Langlauf- und Abfahrtslaufpisten mit Liften an unvermuteten Stellen. Und wie man weiß, kann man in Tschechien weder verhungern noch verdursten...!

Der 8.000 Einwohner-Ort Nejdek/Neudeck liegt kurz hinter Boši Dar/Gottesgab nach rechts über Abertamy/Abertham führend, inmitten riesiger Wälder, die bis an die Straße reichen, im Tal der Rolava/Rohlau, einem Nebenfluss der Eger. Der immerhin 974 m hohe Peindlberg/Tisovsky vrch mit altem Turm steht wie ein Beschützer des Tales im Norden. Wie viele unserer sächsischen Erzgebirgsstädte, ist auch Nejdek durch den deutsch-böhmischen Bergbau geprägt worden. Insbesondere reiche Zinn- und Eisenerzvorkommen brachten Arbeit und Wohlstand, bescheidenen denen, die die Knochenarbeit verrichteten.

1340 erstmals erwähnt mauserte sich der Ort an der Handelsstraße Passau-Karlsbad-Leipzig bis 1602 zur Stadt. Die Grafen von Schlick und Csernin prägen mit ihren restaurierten Burg-, Schloss- und Kirchenbauten das Stadtbild und machen es lohnend für Besucher und Durchreisende. Nach dem dreißigjährigen Krieg, in dem sich kleine Städte weniger wehren konnten als unser damals starkes Annaberg, war Armut auch hier präsent. Aufschwung gelang erst wieder im 19. Jahrhundert durch die industrielle Entwicklung. Da waren die weit reichenden Verbindungen deutscher und manch tschechischer Unternehmer nützlich. Das gab auch der tschechischen Bevölkerung Auskommen, die ja bis zur nationalistischen Hitler-Politik und der folgenden Kriegskatastrophe friedlich miteinander lebten und über den Kamm Handel trieben. Eisenwerke, Kammgarnspinnereien, Holzproduktion, Papier- und Glasherstellung war in der Region Nejdek mit Orten wie Galgenberg, Grund, Hahnberg, Hochtanne und Seifertberg bestimmend.

Durch die Benes-Vertreibung der Deutschen in Folge des von uns angezettelten Zweiten Weltkrieges, verlor alleine Nejdek nach 1945 fast 3.000 Einwohner, - eine spürbare Zäsur! Viele von ihnen, die keine Verwandten im sächsischen Erzgebirge hatten, wurden in Göggingen bei Augsburg aufgenommen. Kein Wunder also, dass man auch im Hotel-Restaurant Anna an der Hauptstraße von Nejdek heute öfters fränkischen Dialekt vernehmen kann. Neue Partnerschaften sind entstanden, die auch investieren wie der Großbetrieb Witte AG (1.500 Mitarbeiter), die Schließsysteme für die Autoindustrie fertigen. Oder Städtepartnerschaften nach Johanngeorgenstadt, wo kurz nach der ersten Eisenbahnlinie 1881 schon 1899 deren Erweiterung hin verlief. Ortsnamen künden rund um Nejdek noch heute vom  Gründungserwerb: Hochofen, Trinksaifen, Hohenstollen, Frühbuß oder Gibacht.

Die schönsten Zeugnisse der kreativen Bevölkerung findet man indes im liebevoll eingerichteten Heimatmuseum der Stadt, untergebracht im elegant restaurierten Bürgerhaus mit handgezogenen Glasfenstern von 1888 am Platz Karl IV. Genau dort kann dann anhand von Karten die Besiedlungsgeschichte nachvollzogen, bergbauliche Exponate wie Gesteinsstufen oder Zinnadern angesehen werden, die bis Portugal gehandelt wurden und dort in versunkenen Schiffen geborgen worden waren.

Gleichzeitig spult sich eine Art erzgebirgische Parallelwelt ab: Besonders viele, fantasiereich dekorierte Bauern- und Bürgerschränke neben Alltagsmöbeln sind zu bewundern. So ein Tellerschrank, wo im Winter im Unterfach die Hühner Platz fanden, - auch hier wars kalt! Mit dem Rückgang der Erzvorkommen wurde auch in Nejdek und UMgebung geklöppelt, geschnitzt und gedrechselt. Manchmal sind die Formen ähnlich wie bei uns, und doch überraschend. Gelangten doch auch die Sagen und der Glaube Böhmens in diese Gestaltwelt, so wie der Hl. Nepomuk.

Unfangreicher und an Formen veilfältiger zeigt sich die Glasproduktion. Böhmisches Glas wurde weltberühmt in vom Kobalt herrührenden tiefen Blautönen oder von Gold in strahlendes Rot verwandelt. Die selten zu sehende Schusterlampe, die zwischen Lichtern durch ihren mit Wasser gefüllten Gefäßen deren Strahlkraft verstärkte oder wunderbare Stühle mit örtlichen Originalen geschmückt, können hier im liebevoll eingerichteten Museum entdeckt werden.

Besucher von „hiem“ ham sich „driem“ durchaus heimelig gefühlt und doch auch Neues erfahren. Und wenn dann noch der Direktor der Nejdeker Koch- und Restaurant-Fachschule, Mgr. Josef Dvořáček, die kenntnisreiche Führung übernimmt, sind authentische Einblicke in die Geschichte zugleich Verbindung in eine gemeinsame Zukunft.

Muzeum Nejdek, Náměstí Karla IV. 238, Tel.: 420 736 650 047.
Öffnungszeiten: März-Dezember, Mittwoch bis Sonntag,
8.30-12, 13-16.30 Uhr
http://kvmuz.cz/muz/muzeum-nejdek

e.f., 2013, erstveröffentlicht auf www.annaberger.info

 

 

 


View Larger Map

 

 

Alle Texte und Fotos unterliegen dem Urheberrecht. Nachdrucke und Weiterverwendung nur auf ausdrückliche Genehmigung des Rechteinhabers. Impressum