Beim Zeus...! K(l)eine Krisen auf Kreta
Allen Ernstes, so erzählte mir die Hoteliersfrau, allen Ernstes haben Dutzende Deutsche und Österreicher ihre Reisen nach Kreta storniert. “Wegen der Krise” sagten sie. Sie hätten, wörtlich: Angst, dass es nicht genug zu essen gibt. Kopfschütteln: wir haben Wein, Oliven und ihr Öl, Schafe, Bergkräuter - und wir haben das Meer. Wir kommen alleine klar, sagte sie darauf. Und was für Wein und was für Öl!
Eine Fotoserie zu Agia Galini sowie Festos finden Sie am Ende des Textes.
Man hört, dass Touristen - seit Griechenland am Spartropf hängt - besonders zuvorkommend behandelt werden. Auf Kreta, das alles am liebsten selber macht, ist das nicht nötig, glauben die Kretaner, denn ihre Insel ist zu schön um besonders angeprisen zu werden und “Athen sehr weit weg”. Bis dahin schaffen es nicht mal die Steuern von der Insel, man zahlt sie einfach nicht und die Verkehrsschilder, ein Zeichen griechischen Zentralismus` sind regelmäßig durchlöchert von den Kugeln ihrer Gewehre. Fast jeder Mann, so sagt man, habe eine Flinte im Schrank. Man kann ja nie wissen und die Geschichte gab ihnen manchesmal Recht. Doch sonst sind sie sehr friedlich, die Kretaner, friedlich bis lethargisch.
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Wir reisten 2011, also dem geschätzt fünften Höhepunkt der Krise, dem noch ein Dutzend folgen sollten, auf die Insel, für einen beschämenden Spottpreis von 700.- EUR buchten wir zu dritt Flüge, 7 Nächte im Hotel mit Frühstück und ein inkludiertes Taxi brachte uns die eineinhalbstündige Fahrt von Heraklion über massive Gebirgsketten und durch den Ozean der Olivenbäume in den äußersten Süden ans libysche Meer, in den kleinen Ort Agia Galini, früher ein Fischerdorf, heute ein noch beschaulicher Touristenort, in dem sich die Auswüchse des Massentourismus noch in wirklich gut erträglichen Grenzen halten.
Es war Anfang Juli, es gab wenig Touristen, zu wenig für die einheimischen Fischer, die sogar auf Nachfragen zu faul waren, uns ein paar Stunden an der Küste entlang zu schippern. “Ist doch noch gar keine richtige Saison”, meinten sie und schoben die Hüte wieder in die Stirn. Es braucht ein paar Tage und man ergibt sich irgendwann auch dieser Trägheit...
Unser Wirt im Hotel Villa Maxime war ein Bilderbuch-Patriarch, der ernst in sein Whisky-Glas lächelnd die Szenerie überschaute, während Frau und Töchter die Arbeit machen. Sein Hotel, bestehend aus mehreren Gebäuden, jeder Balkon mit Meerblick, ansprechend modern gestylt und für 3-Sterne recht luxuriös ausgestattet, einem großzügigen Pool mit 360-Grad-Bergpanorama. Die Familie samt Katzen und kleinem Hund, besitzt eigenes Öl, eigenen Wein, einen trinkbaren Tropfen für 1 EUR das Glas und litt nur insofern unter der Krise, da man das angehäufte Gebäudeensemble kaum auslasten konnte. Die Küche war ansprechend, der Koch geschwätzig, aber für Sonderwünsche empfänglich und mit den Zikaden ein lustiger Kontrast zu der tiefen Stille unter sengender Sonne und - immer wieder - endlosen Olivenhainen.
Kreta, wie groß das klingt. Hier soll Göttervater Zeus geboren sein, genau nach Matala im Süden, soll er Europa, sich wegen seiner eifersüchtigen Gattin in einen Stier vewandelnd, verschleppt und drei Kinder mit ihr gezeugt haben. Europa fühlt sich von Griechenland heute wieder ziemlich gefi..., aber das gehört nicht hierher.
Der Legenden sind so viele, dass man Monate auf Kreta verbringen könnte, um sie alle zu verfolgen. Ikarus und dessen hochfliegende Pläne nebst dem tiefen Fall, doch die Allegorie ins Heute ist einfach schon zu abgeschmackt, um sie noch einmal zu bringen. Dann wäre da noch Däidalos, der brillante Erfinder am Hofe des Königs Minos oder dessen Enkel, König Idomeno, der einst im hölzernen Pferde sitzend Troja zu Fall brachte und dann, bei seiner Rückkehr, um die stürmischen Götter zu besänftigen, an Kretas Küste seinen Sohn tötete. Mozart hat die Story in einem der größten Werke der Musikgeschichte verewigt.
Diesen Minoern, dessen Stier, sozusagen als Urviech Europas, auch das Wappen unseres Online-Magazines geworden ist, wollten wir auf die Spur kommen, jener sagenhaften Kultur, die vor unwirklichen drei bis viertausend Jahren, also noch vor den alten Griechen und gleichzeitig mit Babyloniern und dem ägyptischen Altreich eine, womöglich die erste Hochkultur auf europäischem Boden schufen - und dann sang- und fast klanglos wieder verschwanden, assimiliert von Seevölkern, Phöniziern, Dorern, Griechen, Römern, Sarazenen...
In Festos oder Phaistos, keine 30 Kilometer von unserem Urlaubsort entfernt, liegt die Ausgrabungsstätte eines ihrer Paläste, Spuren, die bis 1.800 v.u.Z. zurückreichen. Von hier kommt der berühmt-berüchtigte, noch immer nicht entschlüsselte Diskos von Phaistos, eine 1908 gefundene Tonscheibe mit einer Schrift, die niemand, nicht mal die NSA entschlüsseln konnte und um die sich begreiflicherweise die kuriosesten Legenden ranken. Überlegen wir uns auch eine Deutung und schlendern wir durch Kretas Süden...
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Agia Galini besteht aus dem früheren Fischerdorf, das heute das noch erträglich angelaufene Touristenzentrum ist und an dem auch der Hafen liegt sowie dem Hauptstrand in der Bucht. Die windschiefe Bank, genau auf halben Wege zwischen beidem, sieht aus als ruhte hier schon Ideomeno...
Blick vom Urlaubsort Agia Galini in die Bucht. Im Hintergrund massive Gebirgsketten, die noch im Juli schneebedeckte Gipfel zeigen: Zeus` Wiege...
Der Ort selbst, von den Touristen austauschbar gemacht wie alle diese Orte im Mittelmeerraum. Was gibt es besonderes? Diktamon, ein Bergkraut, das es nur auf Kreta gibt und als Tee ein zwar bitteres aber wahres Wundermittel bei Erkältungen...
Eine Uferpromenade, gesäumt von Palmengärten, Blumen und Felsen führt von dort zum Hauptstrand und der unvermeidlichen Gastro-Kiosk-Meile hinter den Sonnenliegen.
Felsformationen und das Meer in Bilderbuchfarben.
Saisonbeginn an Kretas Südküste. Es ist nicht der weitere Weg vom Airport hierher an die Südküste, der Kieselstrand an Stelle des Sandstrandes im Norden oder die mangelnde “Action”, was die Urlauber abhält. Es ist die Angst auf Kreta “hungern” zu müssen...
Krisengewinnler auf Kreta ist der “mutige” Gast, der trotzdem kommt. Paradiesische Ruhe gibts als Bonus im Hotel zur schönen Landschaft. Hier im Hotel “Villa Maxime”, ca. 700 Meter vom Meer entfernt mit unverbauter Aussicht auf die Bergmassive ringsum.
Es ist eine höhere Kunst, unter all den Lokalen in der Uferlinie die 2-3 herauszupicken, die wirklich gute Küche zu vernünftigen Preisen bieten. Der eine macht aus Fleisch Schuhsohlen, der andere zerkocht den Fisch, andere glauben, Ausländer wollen immer nur Pommes, Schnitzel, French Dressing und Ketchup. Doch ab und an findet man die - meist besitzergeführte Schänke - die sich auf Heimisches spezialisiert hat und konsequente Qualität anbietet.
Das wünscht man sich in der ersten Strandzeile in Italien oft vergeblich, eine einfache, aber gut gemachte Pasta mit frischen Meeresfrüchten für 7 EUR. In Agia Galini auf Kreta möglich...
Besser aber, man sucht abseits der ausgetretenen Pfade. Ein Campingplatz im Familienbetrieb, einige Hundert Meter von der Küste entfernt. Der riesige Pool steht auch Tagesbesuchern offen, im Hintergrund die dazugehörige, sehr gut bewirtschaftete Taverne, so haben die Kinder und die Eltern ihren Spass. Im kleinen Laden verkauft die Oma selbsterzeugtes Olivenöl in der PVC-Flasche. Ein unbezahlbarer Tropfen für wenige Euro...
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Inbegriff greichischer Gastlichkeit oder zu Tode getanztes Klischée? Natürlich bieten die Wirte auf Kreta, wie hier der vom Capingplatz, die tatsächlich alle Kostas heißen, die Sirtaki-Seligkeit ihren Gästen. In manchen Tavernen, natürlich nicht jenen an der Strandpromenade, hört man auch noch kretische Musik, die orientalisch-wild (türkisch darf man hier nicht sagen), klingt und nicht sehr massenkompatibel ist. Dazu braucht man nicht nur Wein, sondern auch - nein, keinen Ouzu - auf Kreta trinkt man Raki. Der hat allerdings nichts mit dem türkischen Raki ist, der wiederum wie Ouzu schmeckt. Der kretische Raki ist praktisch ein Grappa, ein aus Weintreber gepresstes Destillat - von sehr variabler Qualität...
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Der Wirt der Campingplatz-Taverne schmeißt ab und an den Ofen an, Lammhaxe, Fleischspieße (Gyros) oder Hähnchen im Tontopf werden dort zubereitet. Ansonsten lässt der kluge Koch die Kraft der Zutaten sprechen: sehr kräftiges, tiefgoldgrünes Olivenöl, gerade Weißweine (bitte hier keine geharzten, die gehören in den Norden Griechenlands. Tomaten mit lange nicht geschmeckter Intensität, Zucchiniblüten. Selbst die Jüngsten, die Kinder des Kochs, kommen nach der Schule und essen einen Teller grüne Bohnen mit Feta. Versuchen Sie das mal mit Ihren eigenen....
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Ausgrabungen aus minoischer Zeit in Festos / Phaistos, dahinter der Blick in die fruchtbare Messara-Ebene. Nach Festos fahren einige Buslinien, allerdings eher informell. Es kann - auch in der Hochsaison - schonmal passieren, dass der Busfahrer den Reisenden an irgendeiner Haltestelle bei 45 Grad absetzt und per Handy einen Kollegen herbestellt. “Nehmen Sie den dritten Bus, der vorbeikommt”. Er kam zum Glück.
Mindestens vier Ausgrabungsebenen finden sich in Festos. Auf der jungesteinzeitliche Siedlung folgt der “alte Palast” der Minoer, der schon kurz nach seiner Fertigstellung einem großen Erdbeben zum Opfer fiel, was offenbar die gesamte Kultur ins Straucheln brachte. Der “neue Palast” etwa 1.450 v.Chr. wird von manchen Archäologen eher als Verwaltungsgebäude gesehen. Weiterhin finden sich noch spätere Siedlungsspuren, aus der “dunklen Zeit” der Dorer.
Grüner als der Rest von Kreta und jeder Zentimeter beackert. Die Messara-Ebene bei Phaistos / Festos ist - neben der Meernähe der Hauptgrund, warum gerade hier eine bedeutende Siedlung der Minoer entstand.
Unweit von Festos befindet sich Agia Triada, wo auch minoische Ausgrabungen zu sehen und ein sehr altes Kloster auf skurrilen Felsen zu besuchen ist.
Im Unterschied zur Palastanlage in Knossos in Heraklion, wo die britischen Ausgräber sich im 19. Jahrhundert bemüßigt fühlten, farbige Rekonstruktionen zur Anschauung fürs Publikum zu errichten, hat man Festos weitgehend im rohen Ausgrabungszustand konserviert, an einigen Stellen wird auch noch weiter gebuddelt. Leider sind - von ein paar Ausnahmen abgesehen - Beschriftungen Mangelware, der Kauf eines Führers am Eingang ist also zu empfehlen.
Das größte zusammenhängende Stück soll das Portal des neuen Palastes darstellen.
Irgendwo hier, in Grabungskammer 8, fand eine italienische Expedition 1908 mitten in Keramik und Hausrats den Diskos von Phaistos, jene sagenumwobene Tonscheibe, die bis heute nicht entziffert ist. Ausgestellt ist er heute im archäologischen Museum von Heraklion.
Die meisten Forscher gehen, aufgrund unrgelmäßig und unterschiedlich häufig wiederkehrender Symbole, die übrigens mit Stempeln vorgenommen sowie der Trennschnitte auf der nur 16 cm messenden Scheibe, von einer Schriftsprache aus. Wenn dem so ist, dann ist sie eine der, wenn nicht die früheste Druckschrift der Menschheit. Die Interpretationen reichen von kultischen Texten, Gebeten oder kalendarische und agrarische Aufzeichnungen bis hin zu einem Brettspiel, einer Chronik oder einem Heldenepos. Wir glauben, es ist die Speisekarte des ersten griechischen Restaurants: “Beim Zeus”.
2011, ms.
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